Verleihung der Johann-Eimann-Plakette an Dr. Georg Wildmann

Der Johann-Eimann-Kulturrat, bestehend aus dem Direktor des Instituts für pfälzische Geschichte und Volkskunde, des Ortsbürgermeister von Duchroth und des Landesvorsitzende der Donaudeutschen Landsmannschaft haben auf Vorschlag von Vorstandsmitgliedern der Landsmannschaft beschlossen Dr. Georg Wildmann mit der Johann – Eimann – Plakette  zu ehren. Die feierliche Überreichung der von Friedrich Müller, aus Torschau stammend,       geschaffenen Medaille und  von Peter Relinger, in Palanka geboren, gestalteten Urkunde, fand am 30. Juni 2012 in Anwesenheit von rund 100 Personen im Haus Pannonia in Speyer statt. Die Sopranistin Ulrike Machill-Bengl und der Pianist Stefan Franz bereicherten die Feierstunde musikalisch. Nach der Feierstunde wurde zu einem von den Mitarbeiterinnen des Hauses Pannonia gestaltetem und durch heimatliches Kleingebäck erweitertem Buffet zum geselligen Plausch eingeladen.

Landesvorsitzender Josef Jerger, der im Namen der Landsmannschaft und des Johann-Eimann-Kulturrates begrüßte erläuterte die Begründung zur Verleihung der Plakette. Zur Verleihung der 32. Plakette seit der Stiftung im Jahre 1962 konnte Jerger neben Dr. Georg Wildmann mit Gattin, seinen Studienkollegen den Altbischof von Speyer Dr. Anton Schlembach, den Oberbürgermeister der Stadt Hansjörg Eger, Bürgermeisterin und Kulturdezernentin Frau Monika Kabs, den Laudator Dr. Ingomar Senz, die Träger der Johann-Eimann-Plakette: Karl Weber, Dr. Josef Schwing und Johann (Hans) Supritz, Vertreterinnen und Vertreter landsmannschaftlicher Organisationen und viele Landsleute aus Filipowa, dem Geburtsort von Dr. Wildmann, begrüßen.

Dr. Ingomar Senz führte in seiner Laudatio nachfolgendes aus:

Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Verdienste einer Persönlichkeit zu würdigen. Die häufigste Form ist die Verleihung eines Preises, der allgemein benannt ist, wie Kultur-, Literatur- oder Friedenspreis. Dabei versucht man, jemandes Arbeit oder Verdienste mit einer Gelddotation zu honorieren. Eine andere Art der Anerkennung ist es, eine Medaille oder Plakette zu verleihen, die einen berühmten Namen trägt. Es gilt in diesem Fall als hohe Ehre, mit dem Namensträger in Verbindung gebracht, ja irgendwie auf eine Stufe gestellt zu werden. Die Identifizierung ergibt sich jetzt meist ebenfalls aus besonderen Verdiensten für die Gemeinschaft, die sich durch den berühmten Namen repräsentiert sieht, manchmal drängen sich allerdings auch Parallelen im Leben und Werk auf. Aus dieser Übereinstimmung, falls sie auffällt und bewusst wird, fließen besondere Ströme, die sowohl das Auswahlverfahren wie auch den Geehrten nachhaltig beeinflussen. 

Durchleuchten wir die Biographie des Preisnamensgebers und des Jubilars nach diesen Parallelen, so können wir viel Gemeinsames aufdecken. Am Spektakulärsten ist wohl, daß beide sog. ungelernte Historiker sind. Den Grundstein für Wildmanns Geschichtsschreibung legten die Herausgabe der “Filipowaer Heimatbriefe“ schon seit 1966 und die etwa 20 Jahre später erfolgende umfassende Gestaltung des achtbändigen Werkes „Filipowa – Bild einer donauschwäbischen Gemeinde“.

Das Bodenständige und Volksnahe, das ihn zur Verwirklichung dieser beiden Projekte befähigte, gleichzeitig Festigkeit und Sicherheit vermittelte ihm, so möchte ich annehmen, seine Kindheit in Filipowa. Die Zeit von 1929 - 1944 hat er dort verbracht, in einer, wie er selbst sagt, geordneten und von klaren Strukturen geprägten Welt. Dort fühlte man sich geborgen, konnte man sich als Kind und auch als Erwachsener blindlings den geordneten Abläufen überlassen und den durch Feste überhöhten Alltag auskosten. Ein solches in Spiel, Arbeit, Ordnung und Überhöhung eingebettetes Leben ist in hohem Maße fähig, Gefühle von Zufriedenheit und Behagen zu vermitteln: Es flößt Frieden ein und strömt Wohlbehagen aus. Als Kind erlebte man diese Welt wie eine Zeit, gelebt im Paradies, naiv und fraglos und in vollkommener Sicherheit.

Die Handlungen und Ereignisse innerhalb dieses Dorflebens, in den untersten Verästelungen historischen Geschehens, lassen sich als Geschichtsprozesse noch mit Händen greifen, mit den Sinnen fassen, ihre Übertragung in die Dorfgeschichte geschieht entlang von sinnlichen Erfahrungen, erfolgt deshalb ganz konkret, ohne abstrakte Auswertung. Hier konnte Wildmann der Liebe und Anhänglichkeit zu seinem Geburtsort freien Lauf lassen, gleichzeitig aber auch den Rohstoff für seine neu erfahrene Bestimmung zur Geschichtsschreibung kennenlernen.

Die kleine, überschaubare Dorfwelt, deren Teil Wildmann war und daher mit jeder Faser bewußt erlebt hatte, bietet den idealen Ausgangsboden für eine Geschichtsbetrachtung, die, so möchte ich sagen, „von unten kommt“. Derjenige, der alle geheimen Strömungen kennt, die den lebendigen Dorforganismus durchwirken,  ist prädestiniert, diesen Mikrokosmos mit unschlagbarer Überzeugungskraft darzustellen.

Anderes kommt noch hinzu. Wildmann ist ein Mann aus einfachen Verhältnissen, der nicht das Gymnasium und die Universität besuchte, weil dies einer selbstverständlichen Familien- tradition entspricht, sondern weil seine Lernbegabung und sein geistiges Interesse so auffie- len, dass ihm die Familie unter großen Opfern diesen Weg ermöglichte. Der Bildungsgang unseres Jubilars stand also von Anfang unter dem Zeichen von Verpflichtung und Verant- wortung. So traten neben die Liebe und Neigung zur Sache äußerste Disziplin und ein Bie- nenfleiß, um Vertrauen und Opfersinn der Angehörigen zu rechtfertigen.

Sicher, jeder Wissenschaftler muss sein methodisches Handwerkszeug beherrschen, es von der Pieke auf gelernt haben, muss ein umfassendes Wissen aufweisen und den ungeklärten Fragen auf den Grund gehen. Doch derjenige, der von der Familie her bereits in einer bestimmten geistigen Tradition steht, tut dies mehr selbstverständlich, eher routiniert; unser Mann hingegen erschließt sich eine neue Welt, in der er ganz aufgeht, mit der er sich gleichsetzt, völlig verschieden von der, der er entstammt.

Die beiden Typen unterscheiden sich also durch den Umfang des Gefühlspotentials, das sie in ihre Wissenschaft einbringen. Der Wissenschaftler, der von unten kommt, wird die neue Welt, in die er hineinwächst, die er sich erobert, als sein Eigenstes verteidigen, weil sie ihm Freude, Selbstbewusstsein und Lebenssinn vermittelt. Hieraus gewinnt er seinen kämpferischen Zug. Er wird sie niemals aufgeben, auch wenn sich materieller Gewinn nur in bescheidenem Maße einstellt, weil sie ihm um ihrer selbst willen ans Herz gewachsen ist: es ist dies sein idealistischer Grundzug. Und er wird angesichts seiner neuen Bestimmung, die das konkrete Dorfgeschehen mit der abstrakten Wissenschaft vertauscht, niemals seine eigene Herkunft vergessen, seine Zugehörigkeit zur einfachen überschaubaren Dorfwelt, weil das die dem Opfer der Familie und Anhänglichkeit der Dorfgemeinschaft entsprechende Geste der Dankbarkeit ist.

Die hieraus resultierende Eigenart ist das Bemühen, mit seinem Werk seinem Volksstamm zu dienen, wenn wir so wollen, seine gemeinschaftsbezogene, sozusagen seine soziale Komponente.

Ich verwendete vorhin die Redewendung „von der Pi(e)ke auf lernen“. Was will dieser Ausdruck eigentlich besagen? Der Duden führt nur das Wort Piek auf, das in der Seemannssprache den untersten Teil des Schiffsraumes bezeichnet. Meine Deutung geht nun dahin: Wer diesen Teil des Schiffes säubern musste, die unangenehme Anfangsarbeit eines Matrosen, hat sich damit die Sporen für seinen künftigen Beruf erworben, hat so viel Einblick in die praktischen Arbeitsbedingungen seines Handwerks gewonnen, daß er sein Metier vollständig beherrscht. Genauso sollte es sich in der Wissenschaft oder Geschichtswissenschaft verhalten. Den Anfang bilden Quellen suchen und auswerten sowie deren Einbau in größere Zusammenhänge, um Ereignisse aus Vergangenheit und Gegenwart überzeugend nachzuweisen. Auf höherer Stufe gilt es, Quellen kritisch zu vergleichen, sich mit anderen Meinungen innerhalb der Sekundärliteratur kritisch auseinanderzusetzen und ein Thema abschließend zu behandeln. Die Meisterschaft ist erreicht, wenn jemand den trockenen wissenschaftlichen Stoff in anschauliche, allgemein verständliche Sprache zu gießen versteht und den Stoff so gliedern kann, daß sich nicht nur die Hauptgedanken logisch-konsequent aneinanderreihen, sondern sich unter einem Spannungsbogen steigern Dies ist der Weg von der Pieke zur Meisterschaft, die der gute Wissenschaftler, der von unten, vom Schiffsboden her kommt, durchläuft. Das ist der grundsolide Weg, aber wir wissen, daß es heute angenehmere, bequemere Wege gibt, den wissenschaftlichen Grad des Doktors zu erlangen, man macht sich die Hände sozusagen nicht mehr schmutzig, man holt sich die Weisheit von anderen, poliert sie ein wenig auf und gibt sie als die eigene Leistung aus. Das sind dann die Wissenschaftler, die von oben kommen.

In der Lebenszeit Johann Eimanns dachte noch niemand an solche Praktiken. Eimann selbst wurde 1764 in Duchroth in der Pfalz geboren, sein Vater war Pächter eines landwirt-schaftlichen Gutes. Von 1771-77 durchlief er die Volksschule und wechselte als sehr guter Schüler auf die Lateinschule in Meisenheim, wo er in der Zeit bis 1780 ebenfalls Klassen- bester war. Ein geplanter Übertritt auf die Universität Heidelberg kam wegen des frühen Todes des Vaters nicht in Frage. Nun begannen die Jahre der Unsicherheit. 1781-83 versuchte Johann es mit dem Müllerhandwerk, das ihm aber wenig zusagte. Da er sich nebenbei ständig weiterbildete, arbeitete er vorübergehend  als Hauslehrer bei einer Familie. Nachdem ihn das Oberamt in Meisenheim als Kanzleischreiber aus religiösen Gründen ablehnte und auch seine Bewerbungen beim Militär wegen seiner angeblich schwachen körperlichen Verfassung nicht erfolgreich waren, kehrte er tief enttäuscht wieder in das von seinem Bruder geführte Elternhaus zurück. Obwohl ihm zunächst eine Auswanderung nach Ungarn wenig erfolgversprechend erschien, stimmte ihn Oberamtssekretär von Schwarz, als er sich bei ihm Rat suchte, völlig um, so daß er sich, mit einem Empfehlungsschreiben seines Mentors versehen, Ende Mai 1785 einer Duchrother Auswanderungsgruppe anschloss. Das Empfehlungsschreiben war an Freiherrn von Welz in Wien gerichtet, der ihn an Freiherrn von Weißenbach, Assessor bei der kgl. Kameraladministration in Ungarn, weiterempfahl. Derart als tüchtig ausgewiesen, fand er Anstellung als Baukanzlist beim Kulaer Rentamt und wurde 1786 in Anerkennung seines eifrigen Dienstes zum Baurechnungsführer befördert. Als solcher wirkte er bei den Bauarbeiten der Josephinischen Kolonisation in den Dörfern Neuwerbaß, Torschau, Siwatz und Kischker mit. Nach Beendigung der Kolonisation 1789 war er für drei Jahre Volksschullehrer in Siwatz, von 1793 – 1826 Gemeindenotär in derselben Gemeinde. 1822 brachte er sein wichtiges Werk „Der deutsche Kolonist“ heraus, 1826 trat er in den Ruhestand und 1847 ist er 83jährig in Neusiwatz gestorben.

Analysieren wir das Leben von Johann Eimann etwas genauer, so treffen viele der oben für einen von unten kommenden Wissenschaftler getroffenen Aussagen auf ihn zu, obwohl er sich nicht als Historiker fühlte und es damals um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert eine exakte Geschichtswissenschaft noch gar nicht gab. Umso bedeutungsvoller ist es, daß er mit seinem 1822 geschriebenen Werk „Der deutsche Kolonist“ einen kräftigen Beitrag zum sich anbahnenden Zeitalter der Geschichtswissenschaft leistete. Für uns Donauschwaben ist dieses Büchlein in mehr als einer Hinsicht epochemachend. Die Beschreibung der geographisch-topographischen Verhältnisse in der Batschka vermittelte den Auswanderungswilligen ein realistisches Bild von dem „Land ihrer Sehnsucht“; ferner eröffnet sie der Nachwelt einen tiefen Blick in die Schwierigkeiten des Anfangs und läßt Bewunderung aufkommen dafür, wie die Siedlerahnen „aus Sümpfen eine neue Welt“ schufen. Darüber hinaus hinterließ Eimann mit seiner Kolonisationsbeschreibung eine einzigartige Primärquelle, die unverzichtbar wurde für die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Siedlungsforschung und für eine wissenschaftlich fundierte Anfangsgeschichte der Donauschwaben.

Mit Stolz können Pfälzer und Donauschwaben auf einen solchen Pionier blicken, der Praxis und Theorie in einmaliger Weise zu verbinden wusste.

Wer nun mit einer Plakette ausgezeichnet wird, die den Namen dieses Pioniers trägt, darf sich wahrlich geehrt fühlen. Noch dazu gibt es, wie wir finden, zahlreiche Parallelen zwischen beiden Persönlichkeiten. Abgesehen davon, daß Wildmann mit seinen Jahren heuer dem Alter gleichkommt, das Eimann erreichte und beide aus einfachen Verhältnissen stammen, stimmen auch beider graziler Körperbau und ihre sensible Persönlichkeitsstruktur überein. Beider Biographie weist eine deutliche Zäsur auf, die dem Leben fortan eine neue Richtung wies: Bei Eimann war es die Aussichtslosigkeit, in seiner Heimat einen Beruf zu finden, der ihn zur Auswanderung trieb; bei Wildmann war es seine Laisierung mit folgender Familiengründung, die zur Entlassung aus dem Hochschuldienst führte und deshalb zu beruflicher wie geistiger Umorientierung zwang. Es war eine mehr als glückliche Fügung, die ihn nach einem Klassentreffen mit seinem alten Lehrer Josef Volkmar Senz zusammenführte. Senz erneuerte bei seinem ehemaligen Schüler die seit den Volksschuljahren in ihm schlummernde Liebe zur Geschichte. Wildmann später dazu: „Es war ein existenzieller Anruf, der sich im Innern allmählich zu einem Auftrag verfestigte. Befolgt man einen solchen Auftrag, gibt er dem Leben Sinn“. Bei Eimann lenkte Oberamtssekretär von Schwartz  sein Leben in neue Bahnen.

Dabei kam Wildmann genauso wie seinem frühen Vorgänger die enge Verbindung mit seinem Heimatdorf zugute. Während Eimann im Besonderen die Aufbauarbeit an seinem neuen Heimatort Siwatz schildert und dort als Lehrer und Notär wichtige Orietierungsarbeit leistete, schuf Wildmann als der maßgebendste Mitarbeiter der acht Filipowaer Bildbände ein Werk, wie es in dieser Form innerhalb der deutschen Ortsmonographien vermutlich nicht ein zweites Mal gibt. Was den Historiker, der von unten kommt, besonders auszeichnet, ist sein Dienst an seiner engeren menschlichen Umwelt. So erarbeitete Wildmann am Modell Filipowa eine gültige Strukturanalyse, die insgesamt auf alle donauschwäbische Dörfer passt; er erkannte als erster, in welcher Weise die Strömungen von Romantik und Biedermeier das Filipowaer Geistesleben beeinflussten, daß diese Epochen aber in umgekehrter Reihenfolge (die Romantik auf das Biedermeier folgend) das Kulturleben aller unserer Dörfer prägten; die Dokumentation der schrecklichen Ereignisse, die von Herbst 1944 bis Frühjahr 1945 über Filipowa hereinbrachen, prädestinierten unseren Jubilar zum großen Zeitgeschichtler, der als „spiritus rector“ eines Teams das tragische Schicksal unseres Stammes dokumentierte und im dritten und demnächst vierten Band der donauschwäbischen Geschichte auch aufarbeitet. Damit gelang eine Leistung, wie sie keine andere Vertriebenengruppe aufweisen kann.  Sie wäre nicht denkbar ohne den engen  menschlichen Kontakt und die Sympathie zu seinen Mitbewohnern im Dorf, ohne das Gefühl, immer einer von ihnen geblieben zu sein, ohne das Gespür für die mit allen Sinnen greifbare Dorfatmosphäre. Nicht vergessen wollen wir den kämpferischen Zug Wildmanns, der in einer Zeit notwendig war, als es die Aufrechterhaltung eines Tabus verlangte, die Vertriebenen als Täter und nicht als Opfer darzustellen.

Nochmals zurück zu Johann Eimann. Wenn man sein Leben durchleuchtet und nach dem Einen Besonderen sucht, das ihn in seinem Leben am meisten beseelte, so war das die Anhänglichkeit an seine Heimat Duchroth. 21 Jahre lebte er dort, besuchte seinen Geburtsort 1798 nochmals, unterhielt mit seiner Gevatterschaft, seinen Jugendkameraden und alten Duchrother Familien über einen regen Briefwechsel freundschaftliche Beziehungen. Ja er bekannte sich sogar zu deren Mundart, von deren Beherrschung er noch 1832 in einem Brief eine Probe ablegte. Seine stärkste Aussage diesbezüglich ist, daß er bei gleichen günstigen äußeren Bedingungen wie in der Batschka in die alte Heimat zurückkehren würde. Den letzten Satz würde Wildmann sicher nicht unterschreiben, aber die übrigen Aussagen könnten genauso auf ihn zutreffen. Wildmann ist es, der dafür sorgt, daß in der neuen Heimat die alte Heimat nicht stirbt, daß ein lebendiges Bewusstsein vom alten Filipowa weiterleben kann. Damit hat er nicht nur dazu beigetragen, daß das Einleben in der neuen Heimat, die Integration in eine neue Gesellschaft unter Bewahrung alter Traditionen und Erinnerungen leichter glücken konnte, sondern darüber hinaus das Identitätsbewusstsein vieler Filipowaer und Donauschwaben reicher gemacht. Diese Identität war verletzt und stark beschädigt durch traumatische Erlebnisse im Lager und bei Flucht und Vertreibung. Dank der Aufarbeitung der schrecklichen Vergangenheit im „Leidensweg der Donauschwaben im kommunistischen Jugoslawien“, aber auch durch menschliche Verbindungen in die alte Heimat trug er dazu bei, daß Leid abgetragen wurde und ein unbelastetes Identitätsgefühl sich durchsetzen konnte. Auf der anderen Seite hat Eimann mit seinem Buch über die Einwanderung und Ansiedlung in der Zeit der Überfremdung durch magyarischen Nationalismus seinen Mitbewohnern und Nachkommen den Stolz auf die Siedlerahnen und ein starkes Selbstwertgefühl vermittelt. Beide, Wildmann wie Eimann, haben den Wert Heimat voll durchlebt und in schwieriger Zeit dafür gearbeitet, daß Heimat möglich wurde.

Menschen ohne Heimat, ohne Geborgenheit, ohne schützendes Haus und ohne Gemeinschaft können geistig nicht bestehen. Wo Heimat lebendig ist, da lassen sich äußere und innere Krisen leichter überwinden. Wo Heimat besteht, da herrscht eine gesunde Ordnung. Wo wahre Heimat lebt, da gibt es ein vom Kleinen ins Große hinüberwirkendes Traditionsbewusstsein, also Überlieferung und Brauch und Tradition und darum Kultur. Solange Heimat besteht, gibt es stets spendende Quellen nie versiegender Kraft, gibt es Stetigkeit und Kontinuität in allem Fluß der Dinge.

Der Befund, daß beide zu ihrer Zeit ihren Landsleuten das Gefühl von geistiger Beheimatung vermittelt haben, schließt den Kreis der Parallelen. Uns drängt sich nach dieser „Bespiegelung“ der Eindruck auf, daß die Jury heute einen dieser Plakette besonders würdigen Mann ausgewählt hat.

Text der kunstvoll gestalteten Urkunde

Nach seinem Studium der Philosophie und der Theologie, das er 1959 mit dem Dr. theol. abschloss, trat er in den Schuldienst an höheren Schulen der Diözese Linz/Oberösterreich ein. Ab 1975 begann er sich als Donauschwabe intensiv mit der Geschichte und der Kultur der Donauschwaben zu beschäftigen. Seit 1966 ist er Schriftleiter der „Filipowaer Heimatbriefe“, seit 1989 Vorstandsmitglied der „Donauschwäbischen Kulturstiftung“ in München. Als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der „Stiftung Donauschwäbisches Zentralmuseum“ in Ulm sowie verschiedener wissenschaftlicher Institutionen in Österreich ist er maßgeblich an der Aufarbeitung des Schicksals der Donauschwaben in den Kriegs- und Nachkriegsjahren beteiligt. Er ist Herausgeber verschiedener Studien über seinen Geburtsort Filipowa und Mitautor der Dokumentation „Verbrechen an den Deutschen im kommunistischen Jugoslawien“. Mit seinen Publikationen hat er, wie nur wenige Donauschwaben, die Geschichte seiner Landsleute weltweit bekannt gemacht. In Würdigung seiner wissenschaftlichen Leistungen verleiht ihm der Johann – Eimann – Kulturrat die Johann-Eimann-Plakette.

Worte des Geehrten

Sehr geehrter Herr Bischof Dr. Schlembach, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrter Herr Landesvorsitzender, sehr geehrte Mitglieder des Johann – Eimann - Kulturrates! Liebe Landsleute!

Es ist mehr als bemerkenswert, dass man mich als Privatforscher im Bereich der donauschwäbischen Geschichte für die eben verliehene Auszeichnung ausersehen hat. Dafür möchte ich herzlich danken.

Eine Auszeichnung ist in der Regel eine Anerkennung für das, was man für eine Sache oder eine Gemeinschaft geleistet hat.

Wenn ich so zurückschaue, dann merke ich, dass es bislang 46 Jahre sind, die ich die Heimatbriefe meiner Ortsgemeinschaft redigiere, dass ich 20 Jahre gearbeitet habe, damit die acht Textbildbände über meinen Heimatort und meine Ortsgemeinschaft Filipowa erscheinen konnten. Es sind jetzt 32 Jahre, in denen ich fortlaufend in der Donauschwäbischen Kulturstiftung gearbeitet und für die Publikationen über unsere Leidensgeschichte und unserer Geschichte mitgearbeitet und mitgesorgt habe. 

Es ist also viele Lebenszeit, die in die Arbeit für die näheren und ferneren Landsleute hineingeflossen ist. Ich habe viele Ausdauer investieren müssen.

Im Vorfeld dieser Ehrung habe ich mich gefragt: Welche Motive haben dich bewegt, um fleißig zu bleiben und Ausdauer für 46 Jahre durchgehender schriftlicher Arbeit für die Landesleute zu entwickeln? Was waren denn das für Motive? Nach einiger Reflexion – Motivforschung in eigener Sache – ist mir Folgendes (wieder) bewusst geworden:

Da war als ein Erstes der Wille mitzuhelfen, dass unsere Gruppe ein stabiles und starkes Selbstwertgefühl entwickelt und beibehält. Dieses wächst in dem Maße, in dem man sich zu seiner geschichtlichen Vergangenheit zustimmend verhalten kann.

Ich neige zur Ansicht, dass das Römische Reich deutscher Nation auch die historische Aufgabe hatte, auf eine germanisch-madjarisch-westslawischen Kulturgemeinschaft hinzuwirken. Unsere Vorfahren haben nach der Zurückdrängung des osmanischen Reiches dieser Kulturvermittlung von West nach Ost neues Leben zugeführt und damit dem historischen Sinn der alten Reichsidee gedient. Das hat mich in meinem Selbstwertgefühl bestärkt und auch motiviert, dieses weiter zu vermitteln: Unsere Existenz als Siedler im Osten hat einen historischen Sinn gehabt!

Da war als zweites Motiv den Landsleuten zu helfen, ihre Identität zu stärken. Getroffen vom Trauma der Vertreibung haben wir von der jüngeren Generation gefragt, wer wir eigentlich sind. Josef V. Senz hat da einen Weg eröffnet. Er hat einmal treffend formuliert: Wir sind Deutsche, Österreicher, Amerikaner ... mit einem donauschwäbischen Einschlag, einer donaudeutschen Identitätskomponente. Wir vom Aktivsegment der Kulturstiftung sind uns mit Hilfe dieser treffenden Diagnose von Senz unserer Identität bewusster geworden und es fortan als Aufgabe angesehen, der Nachkommengeneration die Überzeugung zu vermitteln, es wäre etwas Bereicherndes für das eigene Leben, sich seiner donauschwäbischen Identitätskomponente bewusst zu sein. Die Aufgabe der Vermittlung war für mich ein steter Antrieb.

Ein Drittes: Es kann einem als Privatforscher allmählich einleuchten, dass man auch ein homo politicus – ein politisch agierender Zeitgenosse – ist und es folglich legitim ist, ein historisches Interesse zu verfolgen: und zwar nicht weniger, als dass das eigene Geschichtsbild, das Geschichtsbild der eigenen Gruppe, in die Erinnerungskultur eingeht und sich im kollektiven Gedächtnis der europäischen Völker festsetzt.  

Man stellt sich dem „Erinnerungskampf“ in der Gesellschaft der Gegenwart – dabei erhebt sich die Frage, ob man das überhaupt anders könnte. Man ist ja durch Vertreibung und Lagererfahrung doch ein Traumatisierter, ein Vorgeprägter. Man schleppt eine Wunde mit sich, die nie ganz heilt. Da fühlt man sich getrieben, gegen die Entwürdigung des Ansehens „seines Völkchens“ in der Weltöffentlichkeit und in den neuen Heimatländern anzukämpfen.

Ein viertes Motiv: Man fragt sich als Engagierter im Bereich unserer Geschichte zwischendurch, warum man es mit der Genauigkeit hält, mit dem Durchforsten des Unterholzes der Geschichte, das viel Mühe macht und viel Zeit kostet. Man sieht dann zu seiner inneren Befreiung ein, dass es darauf ankommt, unsere Vertreibung und teilweise Vernichtung nicht als „abstrakte Naturkatastrophe“ zu sehen, die über uns und die Vertreiberstaaten schicksalhaft blind hereingebrochen ist, so dass ein großflächiges Urteil, eine historische Pauschalierung genügt, etwa idem man sagt: Es kommen halt Kriege und Vertreibungen aufgrund archaischer menschlicher Verhaltensweisen – da kann man nichts machen, die menschliche Natur ändert sich nicht!

Es kommt dagegen auf die präzise Forschung nach den Ursachen an, nach den Tätern, nach den Mitläufern, was sie an Gutem und was an Bösem getan haben. Es kommt auch auf die genügende historische Sachkenntnis an. Erst dann kann man sich gemeinsam mit den vormaligen Gegnern und Kontrahenten über die Vergangenheit auseinandersetzen und zu einer gleichartigen Bewertung kommen. Zeitintensive Feinarbeit hat also ihren Sinn. Sie fördert die Verständigung über die Vergangenheit und kann so versöhnend wirken. Das wäre dann ein starkes Motiv, mit zäher Beharrlichkeit bei der Detail-Arbeit zu bleiben.

Ein fünftes starkes Motiv, mich zu engagieren wurde durch einen Satz eines Landsmannes geweckt: Unser Verschwinden aus der Geschichte wäre die „zweite Vertreibung“. Manchmal denke ich, es könnte im jenseitigen Leben ja sein, dass unsere unschuldigen Opfer auf mich zukommen und fragen: Was hast Du getan, dass wir nicht vergessen werden?

Eine mildere Form des Vergessens wäre die vorzeitige Historisierung: „Das ist alles schon Geschichte; die Nachkriegsordnung bleibt aufrecht! Damit beschäftigt sich nun die Wissenschaft und nicht mehr die Politik“ – So kann man das von den Staaten der Vertreibung hören.  Es ist der Versuch des Abschubs des Unrechts in die vergessenen Winkel der Bibliotheken und die Neutralisierung der eigenen Schuldgefühle.

Der Ruf nach Historisierung wird allerdings nur einseitig hörbar: den Deutschen und den Vertriebenen wird eine Schuldgesinnung verordnet und zwar durch einseitige mediale Präsentierung der Vergangenheit. Daher ist man als Vertriebener motiviert, eine gleichgewichtige Aufarbeitung der Vergangenheit zu fordern und gegen das einseitige Vergessen und die einseitige Historisierung anzukämpfen. Die vielbeschworene Aufarbeitung der Vergangenheit ist unteilbar. 

Ein sechstes Motiv, ein ebenso wichtiges möchte ich noch anfügen: Es gilt noch immer Widerstand zu leisten gegen die verfälschte Darstellung unserer Geschichte, wie sie sowohl in den alten wie in den neuen Heimatländern immer wieder fröhliche Urständ feiert. Die späten Visionen der Seher ohne Charisma drängen stets in die Richtung: Sie - die Donauschwaben - waren „Kollaborateure der faschistischen Gewaltherrschaft“ und wurden nicht zu Unrecht bestraft. – Auch angesichts solch ebenso unerleuchteter und undifferenzierter wie stets wiederkehrender Etikettierungen ist Wachsamkeit und Widerspruch erfordert.

Da ich annehmen darf, dass die mir verliehene Auszeichnung die Richtigkeit und Wichtigkeit dieser eben dargelegten Motive bestätigt, nehme ich sie gerne entgegen.

 

Nach der Feierstunde wurde die Möglichkeit zu persönlichen Gesprächen bei erfrischendem Getränk, heimatlichem Kleingebäck und feinen Häppchen rege wahrgenommen.