Josef Volkmar Senz

(*1912 âEUR  2001)

Josef  Volkmar Senz Senz wurde am 22. Februar 1912 in der größten deutschen Gemeinde Jugoslawiens, in Apatin im Batscherland (so die von Senz bevorzugte Kennzeichnung der Landschaft Batschka, heute im Norden Serbiens), geboren. Er war der Sohn des Lebzelters und Wachsziehner Franz Senz und der Anna geb. Baumgartner. Volksschule in Apatin und Eintritt in die in serbischer Sprache geführte Lehrerbildungsanstalt on Sombor. Er verlor noch vor Abschluss seiner beruflichen Ausbildung beide Eltern. Nach Absolvierung der Lehrerpräparandie in Sombor (Lehrerdiplom 1931)wirkte er ab bis zur Zerschlagung Jugoslawiens (April 1941) ab 1931 als Lehrer in Sonta, ab 1935 in Filipowa (heute: Bački Gračac) in der Batschka. 1935 Verehelichung mit Margarethe Sams. Im schulischen Alltag und in Abendvorträgen trachtete er, in den jungen Donauschwaben das Wissen um die eigene Kultur und Geschichte zu mehren und ihnen den Sinn und das Gespür für die Werthaftigkeit des Eigenen zu vermitteln. Vorträge vor Lehrertagungen und Beiträge zu den pädagogischen Zeitschriften folgten; er veröffentlichte Heimatkundliches und Heimatgeschichtliches in "Unsere Schule" (Neusatz, ab 1928), in "Schwäbischer Volkserzieher" (Neuwerbaß, ab 1939 unter der Schriftleitung von Adalbert Karl Gauß) und in "Volksdeutscher Erzieher" (Budapest, ab 1942).

Die altgriechische Weisheit des "Erkenne dich selbst" kennzeichnet wohl am besten die volkspädagogische "Identitätsarbeit", die Senz seinen Schülern wie seinen Lehrer-Kommilitonen angedeihen ließ. Ideell war er in dieser Periode seines Schaffens vornehmlich im Strahlenkreis der romantischen Volksidee etwa im Sinne J. G. Herders beheimatet. Nach ihr ist es der Sinn der Geschichte, daß die Völker ihr je eigenes Wesen entdecken und ihre je eigene Humanität entfalten, um so nicht nur zu nächsthöherer Humanität zu schreiten, sondern auch die Fülle Gottes sichtbar und präsent zu machen.

Seine konsequente volkspädagogische Praxis brachte den überaus eifrigen jungen Lehrer früh zur Einsicht, dass Selbsterkenntnis zur Selbstdarstellung dränge. Es lag also in der Logik seiner Grundentscheidung, dass aus dem Volkspädagogen auch ein Historiker wurde. Aus Abendvorträgen und schulischen Geschichtsstunden erwuchs das Buch: "Kurze Geschichte der Donauschwaben für Jugend und Volk". Es kam 1940 heraus und stellte einen qualitativen Sprung in der bereits laufenden Geschichtsschreibung der Donauschwaben dar: Es stellte nämlich zum ersten Male die historische Entwicklung der Donauschwaben von den Anfängen bis zur Gegenwart zusammenfassend dar. Es erlebte bislang 5 Auflagen. Das Tor zur Einsicht war aufgetan, daß die Detailforschungen in ein Ganzes einzufügen waren und daß hinter der 1922 akademisch kreierten Bezeichnung "Donauschwaben" trotz der Trianon-Dreiteilung ihres Siedlungsgebietes eine einheitliche ethnische Größe stand. Der schmale Geschichtsband eines jungen Lehrers lieferte wohl allen denkenden Donauschwaben den historischen Nachweis, dass sie sich als länderübergreifende Volksgruppe betrachten durften. Das Buch stellte eine Art "historische Beglaubigung" dar für eine Volksgruppenpolitik, die in Jugoslawien, Ungarn und Rumänien mit dem Anspruch auftrat, eine Kulturautonomie durchaus legitim einfordern zu dürfen.

Nach dem Aprilkrieg 1941 kam das Batscherland unter die Hoheit Ungarns, das nach dem einschlägigen Vertrag von 1940 mit dem Deutschen Reich seiner deutschen Volksgruppe eine erweiterte Verwendung der deutschen Unterrichtssprache in den Volksschulen und  den deutschen Höheren Schulen zugestanden hatte. Die Neugestaltung des deutschen Volksschulwesens in Ungarn führte zur Errichtung eines volksgruppeneigenen Landesschulamtes in Budapest, und der dreißigjährige Senz wurde Landesschulrat für das Volksschulwesen (1941-1943): steile Karriere in einer chancenlosen historischen Situation.

Dezember 1943 Einberufung zum ungarischen Heer. 1945-1953: Nach der Flucht mit der Familie und zwei kleinen Kindern Lehrer in Deggendorf und Schwimmbach; ab 1953 bis zum Antritt des Ruhestandes Lehrer in Straubing.

Schon 1947 versammelt Senz in Diaspora lebenden donauschwäbischen Lehrer aller Schularten und aller drei Nachtrianon-Heimatländer und gründete mit ihnen die Arbeitsgemeinschaft Donauschwäbischer Lehrer (ADL), die er selbst bis 1982 leitete. Ab 1955 kamen die "Donauschwäbischen Lehrerblätter" heraus, die  didaktisch aufbereitete Lehrhilfen zu Kultur, Volkskunde und Geschichte der Donauschwaben zum Gebrauch in den Schulen der neuen Heimatländer anboten. Das Erbe der Donauschwaben sollte nicht nur archiviert, es sollte auch gelebt werden, von der Esskultur angefangen über Mundart und Brauchtum bis hin zu Lied, Tanz und Festfeier. Seine Vorstellung von Integration der Donauschwaben malte Senz mit treffsicheren Anschaulichkeit in ein Bild: "Wir sind Deutsche, Österreicher, Amerikaner . . . mit einem donauschwäbischen Einschlag." Integration unter Bewahrung einer eigenen Identitätskomponente.

Um dem Identitätsbewusstsein seine Kraft gegen den Assimilationsdruck des neuen Ambientes wahren zu helfen, musste freilich auch das Geschichtsbewusstsein weitergepflegt werden. So gab Senz seine in volkstümlicher Darstellung gehaltene "Geschichte der Donauschwaben" schon 1955 in zweiter Auflage heraus. Inzwischen steht sie bei sieben Auflagen.

Seiner im Jahre 1949 gegründeten Apatiner Gemeinschaft redigierte er bis 1984 an die hundert Nummern der "Apatiner Heimatblätter", die als Mitteilungen an die auf 15 Länder und drei Erdteile zerstreuten Bewohner der vormals größten deutschen Gemeinde Jugoslawiens gingen. Dieser seiner Heimatgemeinde ist auch sein umfangreichstes Werk gewidmet, das 1966 erschienene, über 800 Seiten starke "Apatiner Heimatbuch".

Senz begann ab 1970 mit zunehmender Intensität die zusammengebrochene Lebenswelt der Donauschwaben zu archivieren. Er tat dies, indem er die Forschungs-, Dokumentations- und Publikationsarbeit anregte und personell wie finanziell förderte. Den konzeptionellen Rahmen dazu initiierte er mit dem "Arbeitskreis für donauschwäbische Heimat- und Volksforschung“, der in seiner Sammlung "Donauschwäbisches Archiv" vier Buchreihen. Die Reihe III „Beiträge zur donauschwäbischen Volks- und Heimatforschung“ allein zählt heute 150 Titeln, von denen er viele publizierte oder verlegerisch betreute.

Senz war getragen von der Überzeugung, er, der nationalkonservative Kulturförderer, würde die mehrbändige, in wissenschaftlicher Form abzufassende "große" Geschichte der Donauschwaben allein nicht schreiben können. Dazu kam auch seine Überzeugung, es müsse eine Institution geschaffen werden, die das gesamtdonauschwäbische Anliegen wahrnahm, jenseits aller partikularistischen Ambitionen von Ortsgemeinschaften und Landesverbänden. So gründete Senz am 17. Juni 1978 die "Donauschwäbische Kulturstiftung - Stiftung des privaten Rechts - München", seine dritte und sorgenreichste Stiftung auf dem Weg der Selbsthilfe, auf den er sich bis zu diesem Zeitpunkt verwiesen sah. Er blieb ihr Vorsitzender bis zu ihrem zehnjährigen Bestandsjubiläum 1988 und war seither ihr Ehrenvorsitzender. Wie es der bisherige Lauf der Dinge zeigt, deckte die Errichtung des "Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde" an der Universität Tübingen nur den Forschungsbereich der Banater Schwaben ab, die Donauschwaben Jugoslawiens erfuhren bis heute praktisch keine wissenschaftliche Bearbeitung ihrer Geschichte. Daher ist die Arbeit der Donauschwäbischen Kulturstiftung München bis heute unbedingt erforderlich. Trotz  beruflicher Auslastung und ortsgemeinschaftlicher Beanspruchung der wenigen fachkompetenten Mitarbeiter der Kulturstiftung hält sich das zentrale Anliegen der Senz'schen Gründung, die Abfassung der mehrbändigen donauschwäbischen Geschichte, durch: bislang konnten drei der auf vier Bände angelegten „Donauschwäbischen Geschichte“ erscheinen.

1982 erschien, herausgegeben von Georg Wildmann als Festschrift Senz, der 460 Seiten starke Band "Entwicklung und Erbe des donauschwäbischen Volksstammes", ein veritabler Querschnitt zum damaligen Stand donauschwäbischer Forschungs- und Dokumentationsarbeit. 1985 folgte das "Donauschwäbische Liederbuch" des unvergleichlichen Konrad Scheierling, das 198 autochthon donauschwäbische Lieder aus allen Siedlungslandschaften vor dem Vergessen bewahrt.

Zwei Jahre später waren zwei Werke fertig gestellt, die eine Verbreitung finden sollten, von denen ein deutschsprachiger Wissenschaftler nur träumen kann: die "Donauschwäbische Zeitgeschichte aus erster Hand", ein engagierter Bericht zur Geschichte der Donauschwaben Jugoslawiens ab 1918 aus der Sicht  des politischen Akteurs Josef Beer, und die neubearbeitete und schön illustrierte dritte Auflage der "Geschichte der Donauschwaben" von Josef V. Senz, von ihm selbst als "volkstümliche Darstellung" bezeichnet - beide 270 Seiten starke Arbeiten erlebten bis 1990 zwei weitere Auflagen.

Eine mit 670 Seiten voluminös geratene Darstellung des Schwäbisch-Deutschen Kulturbundes im Spiegel damaliger Presse folgte 1989 unter dem Titel "Als Fremde im Vaterland", gesammelt und redigiert von Hans Rasimus. Christian Ludwig Brücker gab 1990 eine Rechenschaft über die Selbstbehauptung der Donauschwaben in Übersee und über den Zusammenhalt mit ihnen unter dem Titel: "Donauschwaben in Nordamerika, in Südamerika und in Australien" 1991 erschien als Gemeinschaftsarbeit des "Arbeitskreises Dokumentation" der erste Band der Reihe "Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien" und bis 1995 die drei weiteren Bände, welche die Verbrechen an den Donauschwaben Jugoslawiens zwischen 1944 und 1948 zum Gegenstand haben. Die vier Bände mit ihren  rund 4000 Seiten sind fast so etwas wie ein "Jahrhundertwerk" und belegen auch, dass - ähnlich der Schoa der Juden - der erlittene Völkermord wie ein Eckstein im Identitätsverständnis der Donauschwaben eingelassen ist.

Das wohl wichtigste und gründlichste Werk, das Senz selbst neben dem Apatiner Heimatbuch und seiner Geschichte der Donauschwaben neben weiteren zehn verfasste, nennt sich Das Schulwesen der Donauschwaben im Königreich Jugoslawien, München, 1968 erschienen. Als Herausgeber, Mitherausgeber und Mitverfasser fungierte er in 43 Schriften bzw. Büchern. In der Zeitung „Der Donauschwabe“ schrieb er 580 Artikel über Ereignisse der donauschwäbischen Geschichte. Zudem stammen von ihm 181 Beiträge und Aufsätze zur Geschichte der Donauschwaben.

Ein Leben für die Donauschwaben - so lautet der Titel des Buches, das sein Sohn Dr. Ingomar Senz und seine Enkelin Rotraud verfasst haben, das 1999 erschien.  Wenn man auf das Leben von Senz als Freund und Schüler zurückschaut, dann erkennt man drei  existentiellen Option, die dieses Leben prägten: Die pädagogische Praxis als engagierter Lehrer, die leidenschaftliche Bemühung um die donauschwäbische Geschichte und dann die praktische Umsetzung der Theorie in Lehrervereinen und Institutionen, wie der Donauschwäbischen Kulturstiftung. Senz' Arbeit im Dienste seiner Landsleute wurde von der deutschen Öffentlichkeit honoriert mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes I. Klasse und einer Reihe weiterer Auszeichnungen, so nicht zuletzt mit dem Donauschwäbischen Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg. Senz verstarb 2001 in einem Altenheim in Straubing.