Das „Völkische“ als Leitbild der donauschwäbischen Führungseliten in der Zwischenkriegszeit

Dr. Georg Wildmann

In der Zwischenkriegszeit zeigt sich auf der Seite der „staatstragenden“ Nationen der Ungarn, Rumänen und in Jugoslawien in der Hauptsache der Serben die Tendenz zur Homogenisierung ihres Status als Staatsvolk und somit zur möglichst großen Schwächung des Eigenlebens der ethnischen Minderheiten. Die Erfahrung eines großen Magyarisierungsdrucks hatten alle Volksgruppen im Königreich Ungarn während der Zeit der Doppelmonarchie gemacht. Nun erfuhren sie eine Fortsetzung der restriktiven Minderheitenpolitik und weiterhin viel nationalistische Unduldsamkeit. In der Folge lag es auch nicht im geistigen Horizont der führenden Politiker der Nachfolgestaaten, ein politisches Konzept für ein gedeihliches Zusammenleben zu entwickeln. Es ging letztlich entweder um eine physische Säuberung des staatstragenden Volkes von ethnischen Minderheiten, oder aber um eine Entnationalisierung der ethnischen Minderheiten durch ihre völlige Assimilierung in die Staatsnation, d.h. um „ethnische Implantation“.

Auf der anderen Seite sehen wir bei den Minderheiten ein starkes, alle ihre Gruppierungen durchdringendes Erwachen des Volkstumsgedankens. Dr. Franz Basch, der Gründer  des „Volksbunds der Deutschen in Ungarn“, unterschied bei seiner Tätigkeit als Volkspolitiker in den 1930er Jahren und erst recht als Volksgruppenführer der Deutschen Ungarns in der Zeit des II. Weltkriegs innerhalb der Führungselite der Ungarndeutschen „Völkische“ und „Weltanschauliche“. Der Ausdruck „Völkisch“ wurde im nationalsozialistischen Schrifttum von frühester Zeit an mit Vorliebe gebraucht, war aber auch in konservativen und liberalen journalistischen  Medien gängig. Seit Ende des II. Weltkriegs ist er verpönt und wird meist durch „Ethnisch“ ersetzt. 

Nach Baschs Unterscheidung gaben die Völkischen der Erhaltung und Pflege des schwäbischen Volkstums den Wertvorrang und empfanden entweder mehr national-konservativ oder stärker national-liberal. „National“ ist hier verstanden als deutsch-donauschwäbisch und „konservativ“ als „christlich-konservativ“ mit bevorzugter Kirchenbindung, während „liberal“ eine schwächere Religiosität und Kirchenbindung und stärkere Säkularität beinhaltet. Franz Basch schrieb 1933 in einem Artikel: „Volk ist etwas heiliges, ewiges. Darum ist Volksrecht das heiligste der Menschenrechte. Das Herz und das Gewissen kämpft, opfert und leidet für das, was wir Volk, Volkstum, Volksrecht nennen“.   

Auf Geheiß der VOMI – der seit 1936 bestehenden „Volksdeutschen Mittelstelle“ der SS in Berlin, die bestimmenden Einfluss in den mit Deutschland verbündeten Staaten auf die dortigen deutschen Volksgruppen ausübte – führte Basch ab Anfang 1939 den Titel eines „Volksgruppenführers“ der Ungarndeutschen. Sein Forderungsprogramm an die ungarische Regierung blieb aber „völkisch“. Es umfasste: Anerkennung des Grundsatzes der Volksgemeinschaft und der Volksgruppe als Rechtsperson; die Lösung der Schulfrage im Sinne des muttersprachlichen Unterrichts; die beliebige Schaffung von Presseorganen, Vereinen und Verbänden; Religionsunterricht, Gebet, Kirchengesang und Predigt in deutscher Sprache; Errichtung einer deutschsprachigen Lehrerbildungsanstalt und eines deutschsprachigen Priesterseminars.

Man geht nicht fehl, wenn man sagt, dass die „Völkischen“ die 1920er und 1930er Jahre die Landsmannschaften der Donauschwaben in Nachfolgestaaten Ungarn, Rumänien und Jugoslawien dominierten. In Rumänien sammelten sie sich bei Sachsen wie Schwaben unter der Denomination „Volksgemeinschaft", in Jugoslawien als „Kulturbund" und in Ungarn zunächst als „Kulturverein“ und später als „Volksbund“. Ihre Devisen sind bezeichnend: „Heimat, Volk und Väterglaube" in Rumänien; „Heimat, Muttersprache, Väterglaube" in Jugoslawien, und „muttersprachliche Bildung, belebtes Volksbewusstsein und Liebe zum eigenen Volkstum“ in Ungarn. Diese Programmatik war also keinesfalls von der Ideologie des Nationalsozialismus geprägt. Das ursprüngliche „völkische“ Programm der auf die Nachfolgestaaten, Ungarn, Rumänien und Jugoslawien aufgeteilten Donauschwaben besaß einheitliche Züge. Es zielte auf die Bewahrung des angestammten und ererbten Volkstums und wehrte sich in der Zwischenkriegszeit vehement gegen eine „ethnische Implantation“ in die neuen „Staatsnationen“.  

 Unter den „Weltanschaulichen“ verstand Franz Basch die nicht zahlreichen kämpferischen Aktivisten der obersten politischen Ränge, die bewusst Nationalsozialisten sein wollten und daher ihr politischen Handeln an der nationalsozialistischen Weltanschauung orientierten. Es waren dies in erster Linie die führenden Männer der „Erneuerungsbewegung“. Den programmatischen Forderungen, wie sie Basch als „Völkischer“ aufstellte, konnten sich die Führungsfiguren der „Weltanschaulichen“ anschließen, mussten es aber nicht. Sie begannen de facto das „Völkische“ mit Elementen der NS-Weltanschaung aufzuladen und auch umzudeuten, lehnten aber die positive Positionierung des Religiösen, die bei den nationalkonservativen Völkischen eine große Rolle spielte, deutlich ab. Sie verwarfen jedenfalls    auch die Demokratie als Staatsform, vertraten vehement das Führerprinzip, empfanden die blutsmäßige Bindung an das deutsche Volk als besondere Loyalitätsverpflichtung  und öffneten sich tendentiell dem Antisemitismus.

Am 19. Mai 1939 einigte man sich unter dem Druck der VOMI in Graz auf den „Erneuerer“ Sepp Janko als Obmann des Kulturbundes der Jugoslawiendeutschen. Johann Keks trat abmachungsgemäß zurück, Jankos Wahl erfolgte im August 1939. Er nannte sich in der Folge auf Anweisung der VOMI „Volksgruppenführer.“ Wie Branimir Altgayer, dem 1941, nach der Zerschlagung Jugoslawiens, ernannten Volksgruppenführer der Donauschwaben im Unabhängigen Staat Kroatien, war Janko in der Weltanschauung des Nationalsozialismus gut bewandert. Wie seine Reden belegen, stützte er seine Überzeugungen auf die Lehre Alfred Rosenbergs, die letztlich die Kernaussage enthielt: Blutsgemeinschaft mit dem deutschen Volk bedingt auch Schicksalsgemeinschaft. Das sollte Janko nach Ausbruch des Krieges und dem Zugriff der Waffen-SS auf die Volksdeutschen eine weltanschauliche Rechtfertigung des Kriegseinsatzes auf deutscher Seite liefern, zusätzlich zur realpolitischen Notwendigkeit, als Volksgruppenführer seinen Banater Schwaben Schutz und Sicherheit vor den kommunistischen Partisanen zu gewährleisten.

Die maßgebenden Politiker in Rumänien, die Sachsen Fritz Fabritius, sein noch radikalerer Gegenspieler Alfred Bonfert sowie die Banater Schwaben aus der Deutschen Volkspartei Rumäniens: Franz Minnich, Hans Ewald Frauenhoffer und auch Nikolaus Hans Hockl, (Bruder des nach dem Krieg in Oberösterreich lebenden Dichters Hans Wolfram Hockl) konnten sich nur unter einer bestimmten Einschränkung mit den „völkischen“ Forderungen identifizieren.

Sie bejahten zwar Volksgemeinschaft und die Forderung nach Rechtspersönlichkeit öffentlichen Rechts, deutscher Schule und Pflege des Volkstums, bekannten also von den Schlagworten der Völkischen das Ja zu Heimat, zu Volk und Muttersprache, beharrten aber mehr oder weniger deutlich und entschieden auf einem Nein zum christlichen Väterglauben. Christentum widerspreche dem germanischen Wesen, mache weich und unmännlich, die Kleriker seien eher Dunkelmänner, die meisten Bischöfe seien Magyarisierer (was übrigens weitgehend stimmte), das Christentum sei zu sehr dem alttestamentlichen Judentum verbunden.

So sahen etwa die Banater Schwaben Frauenhoffer und Minnich ihren Hauptfeind in dem, was sie als „Klerikalismus“ bezeichneten. Sie fürchteten Prälat Josef Nischbach, der völkisch dachte und für die Kirche in Anspruch nahm, auch einen „Volksdienst" zu leisten, sie bekämpften die mit ihrem Frauenprogramm und ihren Schulen sehr aktive Schwester Hildegardis Wulff und sie lehnen vor allem Prälat Franz Blaskovics (+1937) und Dr. Franz Kräuter, die Politiker der „alten“ Schwäbischen Volksgemeinschaft, als kirchengebundene katholische Schulpolitiker bzw. Parlamentsabgeordnete ab.

Die VOMI zwang aber die von Fabritius geführte gesamtrumänisch-deutsche Partei „Volksgemeinschaft“ und die von Bonfert geführte „Volkspartei“ zur Einigung. Volksgruppenführer wurde Wolfram Bruckner, Siebenbürger Sachse. Dieser war eher eine schwache Führungsfigur, er wurde schon nach einem Jahr abgelöst. Im September 1940 wurde dann ein entschiedener „Weltanschaulicher“, Andreas Schmidt, Volksgruppenführer und die verstärkte „Gleichschaltung“ der Rumäniendeutschen eingeleitet.

Was nun die Masse der Donauschwaben betrifft, so weckte der nach 1918 einsetzende Wille zur Erhaltung des Volkstums bei vielen das Interesse, das damals gängige deutsche Kulturleben kennen zu lernen. Das wiederum richtete für manche den Blick auf die Frühform des Nationalsozialismus und machte besonders ab 1933, als die Benützung der Radios und Filme einsetzte, viele zu Sympathisanten der neuen nationalen Erscheinungswelt, den die im Aufstieg begriffene große „Mutternation“ vorlebte. Eingebettet in die ethnische Vielfalt ihres Siedlungsgebietes meinten wache Donauschwaben auf der Suche nach ihrer Identität, Deutschsein bedeute eben mit Blick auf Deutschland nationalsozialistisch geprägtes Deutschsein. Daneben sollte freilich nicht vergessen werden, dass es durchaus stärker kirchengebundene Gruppen gab, für die sich Deutschsein an christlichen Leitbildern orientierte, die im „Mutterland“ Deutschland auch während der NS-Zeit lebendig waren. Schließlich muss mitbedacht werden, dass für große Teile der Donauschwaben die bäuerlich-bürgerliche alltägliche Lebensführung den Schwerpunkt ihrer traditionsgeprägten Existenz ausmachte und für eine Reflexion des Politischen wenig Bedarf  bestand.

Die Entwicklung und Pflege des eigenen Volkstums war nach 1918 für die politische Elite der Donauschwaben die bestimmende Norm geworden. Die restriktive Haltung der Nachfolgestaaten ihren Volksgruppen gegenüber musste somit zu Spannungen führen und zu einem zum Teil sehr tief sitzenden Gefühl der Unzufriedenheit mit der eigenen Lage in den neuen Staaten. Man darf in dieser Unzufriedenheit die tiefste Wurzel der Sympathie für das nationalsozialistische Deutschland und seine Aufwertung zum Hoffnungsträger erblicken.

 Man darf wohl sagen: Wären die neuen Staaten ihren deutschen Volksgruppen im Sinne einer Gewährung des „völkischen“ Programms, wie es beispielsweise Franz Basch formulierte, entgegengekommen, dann hätten sie die nationalkonservativen und nationalliberalen Kräfte, also die überwiegende Mehrheit der politisch bewusst lebenden Donauschwaben, auf ihrer Seite gehabt, und die NS-Weltanschauung und das Dritte Reich hätten kaum Chancen gehabt, größere Sympathie unter den Donauschwaben zu gewinnen.