Februar 2011 - Eine Hochzeit in Brasilien und donauschwäbische Gastfreundschaft

von Silvia de Carvalho-Ellmer

Als ich im Februar dieses Jahres einen Monat in Brasilien verbringe, beschließe ich, auch endlich einmal Entre Rios, die donauschwäbische Ansiedlung in Parana, zu besuchen. Von unseren Freunden Anna und Peter Michl bekam ich die Kontaktdaten zu ihrer Cousine bzw. deren Tochter Edith und nahm schon vor der Reise zu Edith Kontakt auf.

Nach einem kurzem Flug von Sao Paolo nach Curitiba erwartet mich Edith bereits am Flughafen. Ich kenne weder sie, noch sonst jemanden der Familie und finde es ausgesprochen lieb, dass sie extra für mich vier Stunden nach Curitiba gefahren ist, um mich abzuholen. Dann mache ich gleich noch mehr Bekanntschaft mit der großen Gastfreundschaft der brasilianischen Donauschwaben: der erste Weg führt uns in die beste Churrascaria Curitibas, wo es ausgezeichnetes Rindfleisch gibt, und als ich sie frage ob ich hier mit Kreditkarte zahlen kann, schaut sie mich mit großen Augen an und sagt sehr bestimmt im schwäbischen Dialekt: „Du bist doch unser Gast und brauchst hier gar nichts bezahlen“. So geht es dann die nächsten Tage in Entre Rios weiter. Ich werde von einem Restaurant ins andere geschleppt und alles wird für mich bezahlt – ja, sogar der Friseurbesuch am Samstag, wo ich für die Hochzeit schön gemacht werde, ist inkludiert.

Nach vier Stunden Fahrt mit Ediths riesigem Geländewagen kommen wir in Entre Rios an. Dieser Reisebericht soll zwar in erster Linie meine sehr persönlichen Eindrücke in Entre Rios weitergeben, aber dennoch möchte ich ein paar allgemeine Worte über die Siedlung sagen: Mit Hilfe der Schweizer Europahilfe, die 2.466 Personen einen Betrag von ca. 9 Millionen Schweizer Franken für Landkauf, Transporte, den Ankauf von Maschinen und den Aufbau der Siedlungen zur Verfügung stellte, siedelten sich im Jahr 1951 ca. 500 donauschwäbische Familien in Entre Rios an. Die Kolonisation wurde auch von Brasilien selbst unterstützt. Die Donauschwaben kamen in insgesamt sieben Transporten, die von Schweizer Dominikanerschwestern begleitet wurden, die später auch im Bereich des Schul- und Gesundheitswesens von Entre Rios wirkten, nach Brasilien. Die Siedlung umfasst fünf Dörfer (Vitoria, Jordaozinho, Cachoiera, Soccoro und Samambaia), deren Bewohner hauptsächlich von der Landwirtschaft leben. Sie sind größtenteils in der Genossenschaft Agrária organisiert, die um die 570 Mitglieder und über 1.000 Mitarbeiter hat. Angebaut wird hauptsächlich Mais, Soja, Weizen, Braugerste und Hafer. Die Siedler gründeten eine eigene Schule (Colegio Imperatiz Donna Leopoldina) sowie ein Krankenhaus und unterhalten ein Heimatmuseum (Museu Histórico de Entre Rios) sowie einen deutschsprachigen Radiosender (Centro Cultural Mathias Leh). 

Nach der Ankunft in Entre Rios bringt mich Edith zu ihrer Oma Maria, die selbst als 14-jähriges Mädchen nach Brasilien kam und wo ich während meines Aufenthaltes wohnen werde. Oma Maria ist sehr aufgeregt, dass ich bei ihr bin und füttert mich so, als ob sie mich schlachten möchte. Maria ist als Kind aus Jugoslawien (Slawonien, im heutigen Kroatien) nach Österreich gekommen und konnte, obwohl das Kind von Deutschen, kein Wort Deutsch, sondern sprach nur Kroatisch (das kann sie übrigens heute noch). Erst in Haid lernte sie Deutsch und spricht daher ein sehr schönes Deutsch, das man gut verstehen kann, im Gegensatz zu einigen anderen hier. Schwäbisch lernte sie erst in Entre Rios! Da ich auch aus Ansfelden komme, haben wir viel zu erzählen und reden bis tief in die Nacht hinein.

Samstag ist dann der Tag der Hochzeit! Am Vormittag geht's ab in die Stadt zum Friseur und nachdem wir alle schön hergerichtet worden sind, machen wir uns am Abend auf in die Kirche. Alle sind in tolle Abendkleider gehüllt und 600 Gäste sind geladen, allerdings kommen nur rund 500. Die Trauung ist um 20 Uhr und noch nie hat mich eine Hochzeit so tief berührt wie diese. Wir sind schon alle in den Bänken, die Kirche ist wunderschön geschmückt und zu schöner Musik gehen zuerst die Trauzeugen durch den Gang zum Altar. Als dann schließlich die Mutter ihren im Rollstuhl sitzenden Sohn, den Bräutigam, zum Altar führt, bleibt kein Auge trocken. Und dann kommt die hübsche junge Braut am Arm ihres Vaters. Der Pfarrer ist sehr nett und am Ende der Trauungszeremonie hält einer der Gäste eine kleine Dankesrede im Namen der Brautleute auf deren Eltern, in denen auch die verstorbene Brautmutter und der verstorbene Brautvater erwähnt wurden, und das junge Paar überreicht seinen Eltern Blumensträuße.

Anschließend fahren wir zu einem großen Gebäude, das eigens für solche Feierlichkeiten errichtet worden ist und es wird bis vier in der Früh gefeiert. Es gibt köstliches Essen und viel Musik. Zuerst spielt eine brasilianische Band, dann eine donauschwäbische Kapelle – mit Blasmusik und Tracht – und die kleine temperamentvolle Sängerin, die mit ihren schwarzen Haaren eher brasilianisch aussah, hüpft nun im Dirndl über die Bühne. Abwechselnd spielen sie deutsche Volksmusik, internationale Schlager und brasilianische Musik und ähnlich wie bei uns, sind die Männer eher tanzfaul, die Tanzfläche ist voller Frauen.

In dem Saal sind ca. acht große Bildschirme, auf denen abwechselnd verschiedene Fotos des jungen Paares und später bereits Fotos von der Hochzeit zu sehen sind.

Otas und Omas am Tisch sitze und bei ihnen wohne, muss ich früher heim und „die Alten“ mit ihren 80 Jahren wollen leider schon um drei Uhr nach Hause...

Am nächsten Tag trifft sich die Familie (ich wurde mittlerweile adoptiert und gehöre auch plötzlich dazu) noch einmal in diesem Saal zum Mittagessen bevor das Brautpaar zu einer Kreuzfahrt-Hochzeitsreise aufbricht. Mit auf die Reise geht auch der Pfleger und Betreuer des jungen Mannes, den er auch als Beistand und Trauzeuge ausgewählt hatte, zusammen mit seiner Frau.

Anschließend beginnt meine Stadtrundfahrt mit dem Großvater, dem Leh Ota, bei der auch beide Omas mitfahren. Der Leh Ota kennt sich gut aus, weiß sehr viel und erklärt mir alles über die Ansiedlung von Entre Rios, das – wie eingangs erwähnt – im Jahre 1951 von ca. 500 donauschwäbischen Familien aus Jugoslawien, gegründet worden ist.

 

Das Allertollste des Abends aber ist der Brauttanz. Er wird von einem Mann mit den Worten, „bei der Eröffnung des Tanzes werden wir jetzt sehen, dass Begrenzungen nur in unseren Köpfen existieren“ angekündigt.

Und dann tanzt das Paar einen Tango: er hat einen Zylinder auf und seine Bewegungen im Rollstuhl und der Tanz seiner hübschen jungen Frau, nun in einem kurzen Kleid, sind perfekt auf die Musik abgestimmt. Zwei Monate lang waren die beiden einmal in der Woche in die benachbarte Stadt gefahren, um mit einer professionellen Tanzlehrerin diese perfekte Choreographie einzustudieren. Es ist einfach wunderbar, am Schluss des Tanzes setzt sie sich auf seinen Schoß und ein Regen aus Glitzer und Flitter strömt über die beiden. Alle Leute sind gerührt und auch für mich ist es einer der Augenblicke in meinem Leben, den ich nie vergessen werde.

Auch ich tanze viel, aber da ich bei den

Am nächsten Tag findet die Stadtbesichtigung mit dem Besuch des Museums, der Schule, des Kindergartens und der Agraria seine Fortsetzung. Es ist unglaublich, was diese Menschen in diesem Gebiet, das einst Urwald und bei der Ansiedelung schließlich Steppe war, auf die Beine gestellt haben. Die Brasilianer haben seinerzeit nur den Kopf geschüttelt und gemeint, „diese Deutschen werden alle den Hungertod sterben“, und doch gelang es mit Fleiß und der Benützung neuer Technologien dieses so unwirtliche Gebiet fruchtbar zu machen, genauso, wie es unseren und ihren Vorfahren in Österreich/Ungarn bzw. im späteren Jugoslawien gelungen war, das unfruchtbare Sumpfland in fruchtbares Ackerland zu verwandeln.

1951 wurde die Cooperativa Agraria gegründet, die heute Arbeitgeber für mehr als 1.000 Menschen ist und unter anderem die größte Mälzerei Südamerikas ihr Eigen nennt. Die Donauschwaben haben es nicht nur geschafft für sich ein neues und gutes Leben aufzubauen, sondern sind auch zum Arbeitgeber für viele Tausende Brasilianer in der Umgebung geworden.

Heute wird vor allem Soja und Mais angebaut und viele Bauern haben Felder im Ausmaß von 3.000 Hektar, einige sogar von 6.000 Hektar. Auch die Familie, bei der ich zu Gast war, besitzt große Flächen. Meinen letzten Nachmittag verbringen wir mit der Besichtigung ihrer Fazendas und Felder, was für mich sehr interessant war. Soweit das Auge reicht sieht man das Grün ihrer Sojafelder. Es ist toll für mich zu sehen, was meine Landsleute hier auf die Beine gestellt haben und wie erfolgreich, zufrieden und glücklich sie mit ihrem Leben in Brasilien sind! Ihre Gastfreundlichkeit mir gegenüber – die ich ja eine vollkommen fremde Person war – war einfach kaum mit Worten zu beschreiben!

HINWEIS DER REDAKTION

Liebe Landsleute,

die Donauschwaben in Brasilien feiern vom 4. bis 8. Januar 2012 „60 Jahre Einwanderung in Entre Rios“ und laden dazu recht herzlich ein.

Unter "Veranstaltungen / Vorschau" sowie im vorausgegangenen Mitteilungsblatt (M 1-11 auf Seite 25) finden Sie die offizielle EINLADUNG und nähere Hinweise betreffend Anmeldung, Programm usw.